Sentier des Géants Legendäre und moderne Riesen

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07 december 2012

BADISCHE ZEITUNG

SKULPTURENWEGE IN DER REGION
Sentier des Géants: Legendäre und moderne Riesen


Zelt aus Stein: Skulptur von Kim de Ruysscher
Foto: Rolf Müller

 

Fr, 07. Dezember 2012
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.
von: Rolf Müller


Das gewaltige Sandsteinmonument ist nicht zu übersehen. "Le Château Égyptien de la Poupée de la Fille du Géant", so der etwas umständliche Titel, den der Spanier Gerado Arribas seinem Werk gegeben hat: die ägyptische Burg der Tochter des Riesen. Denn es war die Sage von den Riesen von Niedeck, die die Künstler eines Symposiums im Jahr 2003 in Oberhaslach im Unterelsass inspiriert hat. Die Sage von dem Riesenfräulein, die den Bauer mit seinem Pflug und Gespann für ein Spielzeug hielt, in ein Tuch packte, mit auf die Niedeck nahm und laut jubelnd vor dem Vater auf dem Tisch aufbaute. Vom gar nicht erfreuten Vater wurde sie darüber belehrt, dass ein Bauer kein Spielzeug sei, "denn wäre nicht der Bauer, so hättest Du kein Brot". Doch das ist lange her, die Burg ist verfallen, "und fragst Du nach den Riesen, Du findest sie nicht mehr", so die Sage in der Fassung der Ballade von Adelbert von Chamisso.
Acht Werke von neun Künstlern wurden für den "1er Sentier du Sculpture Contemporaine" ausgewählt, für den ersten zeitgenössischen Skulpturenweg. Der führt von Oberhaslach zwar nicht zur Niedeck, die außer den Riesen im Französischen das "e" verloren hat und sich Nideck schreibt, sondern zur Burg Hohenstein. Aber das ist kein Schaden. Zwar ist von der Burg nicht mehr allzu viel übrig, doch bietet eine Felsnase eine herrliche Aussicht auf das Haseltal mit dem Restaurant Le Hohenstein. Und außerdem ist dieser Teil der Vogesen längst nicht so überlaufen wie Ruine und Wasserfall Nideck, die allzu bequem mit dem Auto zu erreichen sind.
Für den Riesen-Skulpturenweg gibt es zwar einen Waldparkplatz, doch wir lassen das Auto am Ortsausgang von Oberhaslach auf dem großen Parkplatz bei der Mehrzweckhalle stehen. Die Autoaufbrüche auf den Wanderparkplätzen der Vogesen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Und von Oberhaslach zum Beginn des Skulpturenwegs ist es nicht weit, erst an der D 218 Richtung Nideck und nach etwa einem Kilometer nach rechts in die Route Forestière du Sandweg. Nach 400 Metern ist der Beginn des Skulpturenwegs erreicht. Eine Tafel mit einer Kartenskizze informiert auf Französisch über das Projekt, die Künstler und das Dutzend Institutionen, die das Projekt ermöglicht haben – von den angrenzenden Gemeinden bis zur EU.
Wir gehen den mit einem orangefarbenen Kreis nicht immer ganz eindeutig markierten Weg im Uhrzeigersinn und stoßen auf der Route Forestière zuerst auf das ägyptische Schloss und dann auf das vielleicht verblüffendste Werk, "Sans Titre", ohne Titel, des Belgiers Kim de Ruysscher. Es ist ein großes, echt wirkendes Zelt aus massivem Sandstein, das bei schlechtem Wetter zum Reinschlüpfen verführen könnte, wäre es nicht aus einem Stück. "Le Portique des Géants", Portikus der Riesen, hat der Brasilianer Alfi Vivern die dritte Skulptur genannt. Zwei Sandsteinplatten sind wie mit einem Scharnier verbunden.
Von da geht es von der Waldstraße auf einen schmalen steilen Pfad nach rechts in Richtung Château du Hohenstein. Wir reiben uns erst einmal die Augen. Nein, das war nicht der Marc du Gewuerztraminer nach dem Essen, die Reste der Burg stehen wirklich so windschief. Aber bemerkenswerter als die dürftigen Reste der einst stolzen Burg ist die Aussicht hinunter ins Haseltal. Auf dem schmalen Weg stapfen wir noch ein paar Höhenmeter weiter bis zur nächsten Route Forestière und auf der nach rechts bergab.
Fünf Skulpturen warten auf diesem Teil des Wegs. Schon bald heißt es kryptisch "Existiert er oder existieren sie nicht?" Der Franzose Christian Fuchs hat mehrere Sandsteinplatten hintereinander gestellt und mit einem raffinierten Durchblick verbunden. "Königreich der Bauern" haben Sylvain Chartier und Bénédict Weber, ebenfalls aus Frankreich, ihre fast verspielte Skulptur in Anspielung auf die Sage genannt. Beim "Dialog der Riesen" des Polen Tomasz Domanski sind ein Sandsteinrad und eine Walze mit einem Drahtseil verbunden. Bewegen lässt sich die oberste Platte der Skulptur "549" des Franzosen François Weil mit etwas Kraft. Kinder dürften ihren Spaß an der letzten, der originellsten Skulptur haben, dem "Peigne pour Éléphant" des Serben Ivan Bon. Beim "Kamm des Elefanten" weiß man nicht genau, ob das nun der Elefant oder der Kamm sein soll.
Nach gut zwei Stunden ist der Ausgangspunkt erreicht. Ein junges Paar holt gerade Mountainbikes aus dem Kofferraum. Auch eine Möglichkeit, den Skulpturenweg zu erleben. Auf der Fahrt zurück machen wir noch Halt in Niederhaslach an der Kirche Saint-Florent, einer der schönsten gotischen Kirchen des Elsass, bekannt für ihre Fenster und das Tympanon des Westportals. Ein größerer Kontrast zu den wuchtigen Sandsteinskulpturen im Wald ist kaum denkbar als die unglaublich feine Sandsteinarbeit des Tympanons, das auch eine Legende erzählt: die des heiligen Florentius, im 6. Jahrhundert Bischof von Straßburg.
Anfahrt: Von Straßburg auf der A 35, A 352, D 1420 Richtung Schirmeck bis zur Ausfahrt Niederhaslach, über die D 392 zur D 218 und durch Niederhaslach und Oberhaslach zum Ortsausgang. Von dort gut ausgeschildert. GPS: 48° 33’ 01’’ N, 07°19’ 24’’ E
 

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